„Aber Hochsensibilität gibt es als solches eh nicht, nicht ohne Erkrankung, Neurodivergenz, etc. Es ist nur ein Symptom für: ASS, Trauma, Borderline, ADHS oder was auch immer.“
Diese Aussage, welche mir neulich auf einem Social-Media-Kanal auffiel, hört man häufiger, wenn es um Hochsensibilität geht. Vielleicht hast Du ähnliche Behauptungen selbst schon einmal gelesen oder sogar gesagt bekommen. Die Idee, dass Hochsensibilität lediglich ein Symptom oder eine Begleiterscheinung psychischer Störungen oder neurodivergenter Erkrankungen wie Autismus-Spektrum-Störung (ASS) oder ADHS sei, ist weit verbreitet – aber auch falsch.
In diesem Artikel erfährst Du, warum Hochsensibilität eine eigenständige Veranlagung ist und keine Krankheit, und wie sich diese klar von Störungen wie ADHS, ASS oder Traumata abgrenzen lässt.
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Was ist Hochsensibilität?
Hochsensibilität bezeichnet eine Persönlichkeitseigenschaft, bei der Menschen Reize intensiver und tiefgründiger wahrnehmen und verarbeiten als andere. Dieser Begriff wurde in den 1990er Jahren von der Psychologin Elaine Aron geprägt, die den Begriff der Sensory Processing Sensitivity (SPS) einführte – auf Deutsch: sensorische Verarbeitungs-Sensitivität.
Hochsensible Menschen sind besonders empfindlich gegenüber äußeren Reizen wie Geräuschen, Gerüchen oder Licht. Sie nehmen auch emotionale Stimmungen in ihrem Umfeld sehr intensiv wahr und verarbeiten diese tiefgehend. Etwa 15–20 % der Bevölkerung zeigen diese Eigenschaft, was darauf hindeutet, dass es sich um eine natürliche Variation der menschlichen Persönlichkeit handelt – und nicht um eine Erkrankung.
Hochsensibilität: Eine Persönlichkeitsausprägung, keine Krankheit
Ein häufiger Irrglaube ist, dass Hochsensibilität eine Form von Überempfindlichkeit ist, die als Symptom psychischer Erkrankungen wie ADHS, Borderline-Persönlichkeitsstörung oder Autismus-Spektrum-Störung (ASS) auftritt. Aber Hochsensibilität ist kein Symptom einer Krankheit – es ist eine angeborene, stabile Eigenschaft. Menschen, die hochsensibel sind, verarbeiten Reize einfach intensiver.
Warum Hochsensibilität keine Diagnose ist
Im Gegensatz zu ADHS oder Autismus gibt es keine offizielle Diagnose für Hochsensibilität, weil es sich nicht um eine Erkrankung handelt. Du kannst Dich also nicht „krank“ fühlen, nur weil Du Reize intensiver wahrnimmst. Hochsensibilität ist vergleichbar mit anderen Persönlichkeitsmerkmalen wie Introversion oder Extroversion – es ist eine Facette der menschlichen Persönlichkeit, keine Abweichung von der Norm, die einer medizinischen Behandlung bedarf.
Abgrenzung zu psychischen Erkrankungen
Natürlich gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Hochsensibilität und einigen neurodivergenten Störungen, insbesondere im Hinblick auf die Art und Weise, wie Betroffene Reize verarbeiten. Aber die Ursachen und Auswirkungen unterscheiden sich deutlich.
Hochsensibilität und ADHS
Menschen mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) haben oft Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, da sie von vielen äußeren Reizen abgelenkt werden. Diese Reizüberflutung kann ebenfalls bei hochsensiblen Menschen auftreten, aber die Ursache ist anders. Während bei ADHS die Unfähigkeit, den Fokus zu halten, im Vordergrund steht, verarbeiten hochsensible Menschen Reize tiefer und intensiver. Hochsensible sind nicht „abgelenkt“, sondern nehmen einfach mehr Details wahr.
Hochsensibilität und ASS (Autismus-Spektrum-Störung)
Auch Autismus geht oft mit einer sensorischen Empfindlichkeit einher. Allerdings besteht ein entscheidender Unterschied darin, dass Menschen mit ASS häufig Schwierigkeiten haben, soziale Signale und Emotionen zu deuten. Hochsensible Menschen hingegen sind besonders gut darin, die Gefühle und Stimmungen anderer zu erspüren. Sie sind oft empathischer und sozial intuitiver als der Durchschnitt. Das macht deutlich, dass Hochsensibilität keine Form von Autismus ist, sondern eine völlig andere Art der Wahrnehmung darstellt.
Hochsensibilität und Trauma
Ein Trauma kann tiefe emotionale Wunden hinterlassen und zu Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Reizen führen. Allerdings sind die Ursachen eines Traumas und die daraus resultierenden Reaktionen auf Reize ganz anders als bei der angeborenen Hochsensibilität. Während Trauma-Reaktionen durch vergangene Erlebnisse getriggert werden, ist Hochsensibilität eine stabile Eigenschaft, die von Geburt an besteht. Hochsensible Menschen erleben die Welt durch ihre ausgeprägten Sinne intensiver, unabhängig davon, ob sie traumatische Erfahrungen gemacht haben oder nicht.
Die Wissenschaft hinter der Hochsensibilität
Es gibt mittlerweile zahlreiche wissenschaftliche Studien, die belegen, dass Hochsensibilität eine eigenständige Veranlagung ist. Mit bildgebenden Verfahren wie der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) konnte gezeigt werden, dass das Gehirn hochsensibler Menschen Reize anders verarbeitet. Vor allem die Regionen, die für die emotionale Verarbeitung und Empathie zuständig sind, sind bei hochsensiblen Menschen besonders aktiv.
Forscher haben zudem herausgefunden, dass bestimmte Gene, die für die Regulierung von Dopamin und Serotonin verantwortlich sind, bei hochsensiblen Menschen häufiger vorkommen. Diese Neurotransmitter sind maßgeblich an der Verarbeitung von Reizen beteiligt und könnten erklären, warum hochsensible Menschen Reize anders erleben. Das deutet darauf hin, dass Hochsensibilität zumindest teilweise genetisch bedingt ist.
Mythen und Missverständnisse rund um Hochsensibilität
Hochsensibilität ist keine „Modeerscheinung“
Ein häufiger Vorwurf ist, dass Hochsensibilität nur eine moderne „Erfindung“ oder „Ausrede“ für überempfindliche Menschen sei. Tatsächlich ist Hochsensibilität jedoch ein Phänomen, das es schon immer gab. Erst in den letzten Jahrzehnten haben Psychologen und Wissenschaftler angefangen, dieses Merkmal genauer zu erforschen und zu beschreiben.
Hochsensibilität ist keine Schwäche
Hochsensible Menschen werden oft als „zu empfindlich“ oder „überemotional“ bezeichnet. Aber das ist ein Missverständnis. Hochsensibilität bringt viele Stärken mit sich, darunter eine hohe emotionale Intelligenz, ausgeprägte Kreativität und Empathie. Hochsensible sind häufig auch sehr gewissenhaft und detailorientiert – Qualitäten, die in vielen Bereichen des Lebens von großem Vorteil sein können.
Wie Du Hochsensibilität von psychischen Störungen unterscheiden kannst
Praktische Hinweise zur Unterscheidung
Wenn Du hochsensibel bist, nimmst Du die Welt intensiver wahr, hast aber keine grundsätzlichen Schwierigkeiten, Deinen Alltag zu bewältigen. Psychische Erkrankungen wie ADHS oder Borderline-Persönlichkeitsstörung führen oft zu erheblichen Einschränkungen im Leben. Hochsensibilität kann manchmal anstrengend sein – vor allem in stressigen oder reizüberfluteten Umgebungen – aber sie führt in der Regel nicht zu dysfunktionalen Verhaltensmustern oder einer grundlegenden Beeinträchtigung der Lebensqualität.
Wann professionelle Unterstützung notwendig ist
Auch hochsensible Menschen können psychische Probleme wie Depressionen oder Angststörungen entwickeln, vor allem wenn sie sich permanent überfordert fühlen. In solchen Fällen ist es wichtig, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es ist jedoch entscheidend, zwischen der Hochsensibilität als Persönlichkeitsmerkmal und psychischen Erkrankungen zu unterscheiden.
FAQ: Häufig gestellte Fragen zur Hochsensibilität
- Was ist der Unterschied zwischen Hochsensibilität und einer Reizüberflutung bei ADHS?
Bei Hochsensibilität geht es um die tiefere Verarbeitung von Reizen, während bei ADHS die Reizüberflutung eher zu Ablenkbarkeit und Konzentrationsschwierigkeiten führt. - Können Menschen mitHochsensibilität auch psychische Erkrankungen haben?Ja, wie jeder Mensch können auch Hochsensible psychische Erkrankungen entwickeln, aber das hat nichts mit ihrer Hochsensibilität als solches zu tun.
- Ist Hochsensibilität genetisch bedingt?
Es gibt Hinweise darauf, dass Hochsensibilität genetische Grundlagen hat, insbesondere im Hinblick auf die Verarbeitung von Dopamin und Serotonin. - Kann Hochsensibilität mit Therapie „geheilt“ werden?
Nein, denn Hochsensibilität ist keine Krankheit, die geheilt werden muss. Eine Therapie kann jedoch helfen, besser mit den Herausforderungen der Hochsensibilität umzugehen.
Hochsensibilität ist keine Krankheit und sollte auch nicht als solche betrachtet werden. Sie ist eine angeborene Persönlichkeitsausprägung, die mit vielen Stärken und Herausforderungen einhergeht. Wichtig ist, die Unterschiede zu psychischen Erkrankungen zu erkennen und Hochsensibilität als das zu akzeptieren, was sie ist: eine ganz natürliche Facette der menschlichen Persönlichkeit.
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