Was bedeutet es hochsensibel zu sein, seine Hochsensibilität zu begreifen und zu erleben, damit umzugehen oder das Leben zu meistern? Versuch einer Antwort

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Uwe B. Werner
Ich merkte schon mein Leben lang, dass ich irgendwie anders war und bin. Stets war ich bei vielen ein guter und geschätzter Zuhörer und Ratgeber. Heute weiß ich, warum das so ist und ich mich so gut in andere hineinversetzen kann. Ich bin Hochsensibel. Aber woher wussten das die anderen?
Ich war und bin der Kummerkastenonkel und Ratgeber für viele. Gut, ich habe auch schon viel erlebt und kann zu vielem aus eigener Erfahrung sprechen. Mein bester Freund sagt immer: „Was Du alles erlebt hast, da kann man drei Leben draus machen.
Empathie ist problematisch
Und doch ist es Segen und Fluch zugleich. Eine über die Maßen hohe Empathie lässt einen tief in die Probleme und Sorgen anderer eintauchen, aber sich eben auch nur sehr schwer wieder davon lösen. Ich kann oft Gefühle und Erfahrungen nachempfinden, die mir eigentlich selbst fremd sind. Das ist bei Problemen, Empfindungen, aber auch Erlebnissen so.
Ich trage die Gefühle und Problematiken anderer oft noch mit mir herum, wenn die Betroffenen selbst schon fast nicht mehr daran denken. Es fällt mir schwer abzuschalten und loszulassen. Es nimmt mich teilweise mehr mit als wenn mir all das, was ich höre und lese, selbst widerfahren würde.
Und doch bereichert sie auch meine Gefühlswelt. Ich finde es gut und wichtig anderen so nah sein zu können, ihnen Rat zu geben, Trost zu spenden und zu verstehen.
Es ist ein zweischneidiges Schwert, was ich aber im Laufe der Jahre immer mehr angenommen habe.

„Empathie bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen und zu verstehen. Zur Empathie wird gemeinhin auch die Fähigkeit zu angemessenen Reaktionen auf Gefühle anderer Menschen gezählt, zum Beispiel Mitleid, Trauer, Schmerz und Hilfsbereitschaft aus Mitgefühl.“ (Quelle/ Zitat: Wikipedia)
Überhaupt ist das mit der Empathie und einer starken Fantasie so eine Sache. Eine Doku im Fernsehen: Ein Junge läuft über eine Pflastersteinstraße, fällt hin und schrammt sich das Knie auf. Die meisten haben solch eine Situation schon erlebt und zucken zusammen. – Mir tut mein Knie weh. – Als ob ich die Wunde selbst hätte. Noch schlimmer ist es, wenn sich jemand in die Finger schneidet.
Die Stärke und Schwäche der Empathie
Hohe Empathie, also das starke Einfühlungsvermögen und Mitgefühl für andere, ist eine ausgesprochene Stärke eines hochsensiblen Menschen. Wir kommen unserem gegenüber näher als so manche Partnerschaft es je kann. Wir können gut Ratschläge geben, weil wir den anderen buchstäblich „durchschauen“ können. Wir fühlen wie es unserem Gegenüber geht.
Natürlich ist es für einen Ratgeber von Vorteil, wenn er sich gut und tief in sein Gesprächspartner hineinversetzen kann und doch birgt diese hohe Empathie auch Risiken und Gefahren.
Wer sich zu sehr im Leiden der anderen verliert, wer es nicht schafft sich genügend abzugrenzen, der wird kaum noch selbst Ratschläge geben können. Auch die eigenen Interessen und Meinungen bleiben dann schnell auf der Strecke.
Das Stichwort ist „Abgrenzung“. So wie ein Arzt sich nicht vom Mitgefühl mit dem Leid seiner Patienten mitreißen lassen darf, so wie ein Therapeut einen gewissen Abstand zu seinem Ratsuchenden wahren muss, so ist es für einen Hochsensiblen ebenso wichtig sich notwendigerweise abzugrenzen. Hier geht es allerdings weniger um die Wahrung der Fähigkeiten zur Hilfe, sondern vielmehr um den eigenen Schutz.
So wie manche Menschen sich nur um sich selbst drehen und so andere kaum richtig wahrnehmen können, kann es umgekehrt auch geschehen. Eigene Probleme werden so schnell externalisiert. Es ist für Hochsensible oft leichter sich um die Probleme anderer zu kümmern, als um die eigenen.

Hochsensibel – Fluch oder Segen?
Ich habe die Empathie eines Hochsensiblen nie wirklich als Fluch betrachtet. Sie macht mich zu dem einfühlsamen Menschen, der ich nun mal bin. Sie ist nicht unproblematisch, hat auch ihre Schattenseiten, aber ich möchte sie nicht missen. Ohne sie würde mir etwas ganz entscheidendes fehlen.
Für jemand, der sein Leben lang nichts anderes kannte, ist es nur schwer vorstellbar, das andere nicht so empfinden, nicht so wahrnehmen können und oft scheinbar die Gefühle anderer ignorieren. Dies ist die Gefahr, die ich darin sehe. Wir vergessen allzu schnell, das nicht jeder auf die gleiche Art und Weise empfindet. Das, was ich als Gabe empfinde und versuche zum Wohl meines Gegenüber zu nutzen, ist für andere eine schwere Belastung und wieder für andere einfach nur fremd und nicht nachvollziehbar.
Ich werde in einem späteren Artikel noch über Emotionen und Emotionswellen schreiben, die ein starker Bestandteil der Empathie sind. Doch auch hier gilt: es gibt nur wenig allgemein gültiges, weil wir Menschen zum Glück vielfältig und unterschiedlich sind.
Empathie ist für mich kein Fluch. Sie ist für mich ein weiteres Mittel zur Kommunikation und solange ich ein gewisses Maß an Abgrenzung für mich beherrsche geht es mir damit auch gut.
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