Das Verlassen der Komfortzone kann für viele Hochsensible ein wirkliches Problem sein. Wieso man Treffen absagt und wie man damit umgehen kann.

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Uwe B. Werner
„Eigentlich habe ich total Lust mich mit Freunden zu treffen, raus zu gehen, die Sonne zu genießen und nicht hier alleine in der großen Wohnung zu hocken und Däumchen zu drehen. Also, was hindert mich daran?„
So oder so ähnlich dürfte es vielen gehen, nicht nur Hochsensiblen. Bei Hochsensibilität kommen aber noch ein paar Faktoren dazu. Das Thema kommt immer wieder in den diversen Gruppen, lokal und online, auf. Wie immer berichte ich hier aus eigener Erfahrung und erhebe nicht den Anspruch der Vollständigkeit. Auch werde ich hier keine einfache Patentlösung bieten können, es ist mehr ein eigener Ansatz zum nachdenken und Erkennen für sich.
Das Verlassen der Komfortzone, des Bereiches in dem man sich sicher und geborgen fühlt, ist für viele ein größeres Problem. Da können Treffen mit Freunden und kleinere Ausflüge schon mal zu einer großen Kraftanstrengung werden und Reisen gar zu einem unüberwindlichen Hindernis.
Dabei hängt es offensichtlich für viele auch ganz stark davon ab, wer die Personen sind, für die man die heimatliche Konfortzone verlassen soll. Familie und gute Freunde sind da vielfach weniger ein Problem, weil sie einen gut genug kennen, um die eigenen Besonderheiten wissen und man sich nicht künstlich anstrengen muss. Man kann so sein wie man will und das ist für uns Hochsensible wichtig.

Bekannte, die ich nur selten treffe, neue Menschen in meinem Leben oder Reisen dagegen haben eine viel höhere Hemmschwelle. Ich spiele im Gedanken vorher durch, über was man sprechen könnte, ohne mich gleich als sensibles Weichei outen zu müssen, dem volle Cafe´s ebenso unangenehm sind wie lautstarke Clubs.
Das Schlimmste aber ist, und das kennen nach eigenen Aussagen in den Gruppen viele, wenn man sich plötzlich vollkommen überfordert fühlt und seine Verabredung, manchmal sogar kurzfristig, absagt. Es ist nicht nur die Enttäuschung über die verlorene Zeit, sondern auch das eigene Eingestehen, das man etwas nicht „packt“, gerade nicht kann.
Wenn ich dabei bin, bin ich nur körperlich da, sage aber nichts. Im Grunde hat so niemand etwas von mir
Bei mir ist auch immer Tagesform abhängig, andere sprechen von fehlender innerer Energie. Viele haben gelernt auf sich und ihren Körper zu hören und akzeptieren diesen inneren Rückzug in die Komfortzone als Teil ihrer Hochsensibilität. Andere, wie auch ich, hadern noch mit sich, versuchen manchmal mit Gewalt und gegen alle Widerstände sich zu behaupten und schon dieser innere Kampf erschöpft unwahrscheinlich.
Die Diskussion geht natürlich immer auch in beide Richtungen. Die einen, die in letzter Sekunde absagen, oft mit Ausreden daher kommen und einfach innerlich die Kraft nicht haben den Schritt hinaus zu tun und die anderen, die Unzuverlässigkeit attestieren und sich ärgern über anscheinenden Egoismus. Hier ist es schwer beiden Seiten gerecht zu werden.
Dann denken alle, ich will mich ausgrenzen und hätte keine Lust auf sie. Sie fragen dann gar nicht mehr
Die Angst „abgestempelt“ zu werden ist bei vielen genauso groß wie die Hemmschwelle sich dem Ganzen auszusetzen. In diesem Moment, wo man entscheiden muss, ob man die Verabredung, Unternehmung, Reise einhalten und durchstehen kann oder nicht, ist es oft eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Egal was man macht, es kann eigentlich nur verkehrt sein. So oder so ähnlich kommt es dann auch mir vor.
Und das Ganze hat gar nichts mit zu wenig Verständnis der anderen zu tun. Wir selbst sind in dem Moment unser größtes Hindernis. Wir können uns selbst schützen und zurückziehen, wir können dagegen ankämpfen und uns dem stellen – es gibt, so will mir scheinen, keine universelle Lösung. Das Einzige was wir „sollten“, ist uns mit der Problematik als solcher auseinandersetzen, sie für uns erkennen und damit unsere Handlungsweise, wie auch immer, verstehen.
Das bedeutet nicht, das es so bleiben muss. Einfach abhaken: das ist nun mal so – das erscheint mir etwas wenig zu sein. Ich versuche mich mehr und mehr den Situationen zu stellen. Nicht immer klappt es und ich habe gelernt mich selbst auch dafür nicht zu verdammen, wenn ich mal wieder einen Rückzieher machen musste. Um so mehr ich allerdings mich von der Komfortzone entferne, desto leichter wird es, um so mehr Freude kann ich daraus für mich ziehen. Es ist ein Weg der kleinen Schritte, aber die Alternative wäre sich im gewohnten Umfeld langfristig selbst einzusperren.
Seit ich aber weiß, woran es bei mir liegt, nehme ich meine Verabredungen viel bewusster wahr und sage nicht mehr zu, wenn mir nicht wirklich auch was dran liegt
Wir Menschen sind „Gewohnheitstiere“ und unsere Komfortzone zu verlassen kann für einen Hochsensiblen einen stetigen Kraftakt bedeuten. Oft kommen aber auch noch ganz andere Aspekte hinzu, wie eine anstrengende Arbeitswoche, Stress daheim oder andere Sorgen, die starken Einfluss auf unser Kraftpotential haben und letztlich mit zu Entscheidungen führen. Auch dies sollte nicht vergessen werden.

Es gibt Begegnungen und Erlebnisse ausserhalb unserer Komfortzone, die uns Energie bringen. Schöne Stunden mit Freunden oder gemeinsame Aktivitäten können einen wahren Energie-Boost mit sich bringen. Genauso gut kann es aber auch umgekehrt sein. Gespräche zehren, Emotionswellen und emphatische Erlebnisse ziehen uns runter und am Ende haben wir fast keine Kraft mehr.
Es ist nicht immer möglich diese Entwicklungen im Vorfeld abzusehen. An manchen Tagen fühle ich mich stark und kraftvoll genug mich dem Ganzen zu stellen, habe Spaß am Neuen und Unbekannten. An anderen Tagen weiß ich schon vorher, das mein inneres Barometer auf Sturm steht. Da macht es keinen Sinn sich zu verausgaben, sich dem Sturm um jeden Preis zu stellen.
Ja, wir sollten in uns hinein hören, aber nicht nur der Furcht wegen, sondern auch um der Kraft Willen, die in uns schlummert. Ein wenig ist solch ein inneres Ringen – verzeiht den Vergleich – auch wie bei einer Ernährungsumstellung, wo der innere Schweinehund einen immer wieder ausbremsen möchte. Man kann die Art und Weise, sich dem zu stellen und damit umzugehen schon ein wenig vergleichen und vielleicht Nutzen daraus ziehen.
Die Gefahr, dass unsere Komfortzone unser eigenes kleines Gefängnis wird und wir uns von schönen Dingen vielleicht selbst aussperren, schwingt oft bei mir mit, wenn ich wieder mit mir hadere, ob ich mich verabrede oder nicht. Für die meisten vielleicht unverständlich, aber für mich habe ich es als Teil meiner Hochsensibilität erkannt und lerne damit umzugehen.
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