Reize und Reizüberflutung ist für Menschen mit ausgeprägter Hochsensibilität manchmal schwer zu verkraften. Wie kann ich damit umgehen? Wie kann ich trotzdem meinen Alltag leben?

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Uwe B. Werner
Menschenmassen und das Filtern
Von je her waren große Ansammlungen von Menschen für mich schwierig. Ich war nie derjenige der sich bei einem Konzert ins Getümmel vor die Bühne stürzen konnte. Zu schnell kam Platzangst auf, aber auch noch etwas anderes, was ich lange nicht deuten konnte.
Noch heute gibt es Tage, an denen ich eher Ruhe und Abgeschiedenheit brauche und doch Einsamkeit nicht ertragen kann. Es scheint nur auf den ersten Blick widersprüchlich. Es ist weniger das Gefühl dass Menschenmassen mich körperlich erdrücken können, es ist mehr die emotionale Welle und die Akustik.
Erst viel später erkannte ich, das ich einfach nicht filtern konnte. Sitze ich in einem Restaurant, kann ich mich oft nicht auf das Gespräch meines Gegenübers konzentrieren. Es fällt mir wirklich schwer das Gespräch zu führen, denn ich nehmen gleichzeitig ungewollt aber unabänderlich sämtliche Gespräche an den Nachbartischen mit wahr. Es ist als würden zwanzig Mann gleichzeitig auf mich einreden. Schwierig bis sehr schwierig. Nach ein paar Minuten bin ich bereits seelisch und körperlich erschöpft.
Wenn ich mit Freunden mal in der Mensa der Uni essen gehe, ist es ähnlich. Ich weiß am Ende zwar wie die Beziehung des unbekannten Mädels am Nachbartisch ausschaut und welche Themen sich der Student, zwei Tische weiter, für seine Masterarbeit im Sinn hat, aber dafür fehlt mir mehr als die Hälfte des Gesprächs an meinem Tisch.
Man kann Filtern lernen, das weiß ich indessen, aber es geht nicht von heute auf morgen und ist nicht immer leicht. Die Konfrontation mit der Reizüberflutung ist da sicherlich ein probates Mittel. Bei Allergien nennt man es Desensibilisierung. Das Prinzip, welches ich zum Beispiel bei meiner Kasein-Unverträglichkeit angewandt habe, ist ein ganz ähnliches.

Reizüberflutung
Es gibt Tage, an denen scheint alles zu viel. Das ist nun ein Erlebnis, das jeder von uns mal hat. Es scheinen von allen Seiten Probleme, Informationen und Eindrücke auf uns einzuprasseln, da kann es einem schon mal zu viel werden.
Als Hochsensibler scheint man solche Tage öfters zu haben. Kleinigkeiten strengen dann mehr an und nach einem zweistündigen Meeting bin ich für den Rest des Tages erledigt. Es sind aber nicht immer nur Reize in Bezug auf meine menschliche Umwelt, sondern oft auch optischer und akustischer Natur. Grelles Licht kann an manchen Tagen (und ich spreche jetzt nicht von Migräne) zur Tortur werden.
Geräusche sind da sogar noch schlimmer. Wenn dazu noch eine ausgeprägte Misophonie kommt, also man auf gewisse Geräusche fast aggressiv reagiert, dann ist man schnell ausgeknockt.

Gleichzeitig können einen aber auch Tage, wo man viel erlebt, geradezu berauschen. In jedem Fall ist Reizüberflutung ein Problem. Es gibt zahlreiche Ideen und Ansätze, wie man damit umgehen kann, doch nichts allgemein gültiges, was auf alle zu passen scheint. Viele Bücher scheinen Anleitungen zu bieten wie man als Hochsensibler Reizüberflutung begegnet oder wie man gut durch den Tag kommt. Einige davon habe ich gelesen und kopfschüttelnd beiseite gepackt.
Die einen empfehlen Meditation, die andere die Beschäftigung mit sich selbst. Mir hilft zumeist Schlaf oder lange Spaziergänge im Grünen mit ganz leiser und sanfter Musik, mehr Klänge und ohne Gesang.
Ich glaube, es gibt keine universelle Anleitung und was für den einen passt und stimmt, bringt dem anderen rein gar nichts. Jeder von uns, der hochsensibel ist, muss seinen Weg suchen und finden. Wem Bücher dabei weiter helfen, für den ist es gut, aber letztlich kann nur unser innerer Kompass die Maßschnur sein, die uns wirklich leitet.
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