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Overthinker und die Angst vor Kritik

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Kritik – ein einziges Wort, das in mir oft ganze Lawinen an Gedanken auslöst. Als Overthinker kenne ich die lähmende Wirkung dieser wenigen Silben nur zu gut. Noch bevor jemand den Mund aufmacht, kreisen in meinem Kopf bereits zahllose Szenarien und mögliche Reaktionen. Ich erinnere mich an unzählige Situationen, in denen ein harmloser Kommentar tagelang nachhallte, als hätte er mich mitten ins Herz getroffen. In diesem Artikel nehme ich dich mit auf eine Reise durch meine innere Welt – dorthin, wo die Angst vor Kritik und das ständige Grübeln wie Schatten Hand in Hand gehen.

 

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Die leisen Stimmen in mir

Du stehst vor dem Spiegel, betrachtest dein fertiges Werk – sei es eine Präsentation, ein Text oder ein kreatives Projekt – und plötzlich schleichen sich diese Gedanken ein: Was, wenn es nicht gut genug ist? Was werden die anderen denken? Sollte ich nicht lieber nochmal alles überarbeiten? Und schon beginnt der vertraute Tanz mit den Zweifeln.




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Ich weiß genau, wie sich dieses Karussell anfühlt. Als jemand, der die Welt intensiver wahrnimmt und jede emotionale Nuance aufspürt, bin ich selbst ein klassischer Overthinker. Jede Entscheidung, jede Interaktion wird zum Gegenstand endloser Analyse. Besonders die Vorstellung, kritisiert zu werden, kann mich in eine Spirale aus Grübeleien stürzen, die sich anfühlt wie ein Labyrinth ohne Ausgang.

Diese Zeilen schreibe ich nicht aus einem Lehrbuch, sondern aus der Tiefe meiner eigenen Erfahrung. Jeder Satz dieses Artikels durchlief dutzende Revisionen in meinem Kopf, bevor er seinen Weg auf die Seite fand. Und selbst jetzt, während diese Worte Form annehmen, spüre ich das vertraute Ziehen der Unsicherheit: „Wird meine Verletzlichkeit verstanden oder missverstanden werden?“

Die Anatomie eines Overthinkers

Was genau macht einen Overthinker aus? Es ist mehr als nur gelegentliche Nachdenklichkeit oder gesunde Reflexion. Als Overthinker leben wir in einer Welt der Details und Nuancen, die anderen oft entgehen. Wir zerlegen Gespräche bis in ihre kleinsten Bestandteile und analysieren jede Geste, jeden Tonfall, jedes unausgesprochene Wort.

Der Psychologe Dr. Adrian Wells beschreibt dieses Phänomen als „metakognitive Aktivität“ – wir denken nicht nur über Situationen nach, sondern auch über unser Denken selbst. Diese Mehrfachschleife schafft eine komplexe innere Landschaft, in der einfache Entscheidungen zu vielschichtigen Dilemmata werden können.

Für mich äußert sich das Overthinking in schlaflosen Nächten, in denen ich Gespräche wieder und wieder durchspiele. Es zeigt sich in der Verzögerung von Entscheidungen, im endlosen Abwägen von Für und Wider. Und es manifestiert sich besonders intensiv in der lähmenden Angst vor Kritik, die wie ein Schatten über kreativen Unternehmungen liegt.

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Die besondere Beziehung zur Kritik

Warum löst Kritik bei vielen Overthinkern eine so tiefe emotionale Reaktion aus? Ich habe mich oft gefragt, warum ein einziger kritischer Kommentar zwanzig Komplimente auslöschen kann. Die Antwort liegt teilweise in unserer besonderen neurologischen Architektur.

Studien zur Hochsensibilität, einem Persönlichkeitsmerkmal, das bei etwa 15-20% der Menschen auftritt, zeigen, dass wir eine tiefere Verarbeitung von Reizen erleben. Wir nehmen mehr wahr und verarbeiten Informationen gründlicher. Diese Tiefe der Verarbeitung bringt wunderbare Geschenke mit sich – Kreativität, Empathie, ein reiches inneres Leben – aber sie macht uns auch anfälliger für Überstimulation und emotionale Erschöpfung.

Ein kritisches Wort trifft uns nicht nur oberflächlich; es resoniert in uns wie ein Stein, der in einen stillen See fällt. Die Wellen breiten sich aus und berühren Aspekte unseres Selbstbildes, unserer Identität und unseres tief verwurzelten Bedürfnisses nach Verbindung und Anerkennung.

Ich erinnere mich an ein Feedback zu einem Artikel, den ich vor Jahren geschrieben hatte. Der Kommentar enthielt neun positive Anmerkungen und eine konstruktive Kritik. Rate, welcher Teil sich in mein Gedächtnis einbrannte? Die nächsten Tage verbrachte ich damit, über diese eine kritische Anmerkung nachzudenken, sie zu analysieren und mich zu fragen, ob sie meine Fähigkeiten als Schreiber grundsätzlich in Frage stellte.

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Die verdeckten Wurzeln der Kritikangst

Unsere Beziehung zur Kritik beginnt oft lange bevor wir uns ihrer bewusst werden. Als Kind, das stets nach Harmonie strebte und Konflikte als existenzielle Bedrohung empfand, lernte ich früh, mich anzupassen und meine Ecken und Kanten zu glätten. Vielleicht erkennst du dich in dieser Erfahrung wieder?

Psychologische Forschungen deuten darauf hin, dass viele Overthinker in ihrer Entwicklung besonders sensibel auf emotionale Signale reagierten. Ein missbilligender Blick, ein scharfer Tonfall – diese subtilen Hinweise konnten tiefe Unsicherheit auslösen. Im Laufe der Zeit entwickelten wir ausgeklügelte innere Radar-Systeme, um potenzielle Kritik frühzeitig zu erkennen und abzuwehren.

Diese Mechanismen dienten ursprünglich unserem Schutz. Sie halfen uns, in komplexen sozialen Umgebungen zu navigieren und emotionale Sicherheit zu finden. Doch wie viele Schutzstrategien können sie mit der Zeit zu Hindernissen werden, die unsere authentische Entfaltung einschränken.

Dr. Brené Brown, deren Forschungen zu Verletzlichkeit und Scham mir persönlich tiefe Einsichten schenkten, beschreibt dies als „Rüstung“, die wir anlegen. Diese Rüstung mag uns vor Verletzungen schützen, aber sie hält auch die tiefe Verbindung und Authentizität fern, nach der wir uns eigentlich sehnen.



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Der hohe Preis des Overthinkings

Das ständige Grübeln und die Angst vor Kritik fordern ihren Tribut. In meinem eigenen Leben erkenne ich die Muster deutlich: Perfektionismus, der Projekte endlos verzögert; Selbstzensur, die authentische Ausdrucksformen unterdrückt; und eine erschöpfende Hypervigilanz, die ständig nach Anzeichen von Missbilligung Ausschau hält.

Studien zeigen die Verbindung zwischen chronischem Overthinking und psychischer Belastung. Das ständige Kreisen der Gedanken kann zu Angstzuständen, depressiven Episoden und chronischem Stress führen. Es beeinträchtigt unseren Schlaf, unsere Entscheidungsfähigkeit und unsere Lebensfreude.

Besonders schmerzhaft ist für mich die Erkenntnis, wie viele kreative Impulse unverwirklicht blieben, wie viele authentische Verbindungen nicht entstehen konnten, weil die Angst vor Kritik mich zurückhielt. Ich frage mich manchmal, welche Versionen meines Lebens existieren könnten, hätte ich früher gelernt, mit dieser Angst umzugehen.

Die verborgene Weisheit im Overthinking

Doch inmitten dieser Herausforderungen entdecke ich zunehmend auch die Geschenke meiner grüblerischen Natur. Die Tiefe des Empfindens, die reflektierte Betrachtung und die Fähigkeit, feine Nuancen wahrzunehmen – all das sind wertvolle Qualitäten in einer oft oberflächlichen Welt.

Die Psychologin Elaine Aron, deren Forschung zur Hochsensibilität mir half, meine eigenen Erfahrungen einzuordnen, betont, dass diese Tiefe der Verarbeitung evolutionäre Vorteile bietet. Als sensible Menschen nehmen wir subtile Signale wahr, die anderen entgehen mögen. Wir können komplexe Zusammenhänge erkennen und tiefe Einsichten gewinnen.

Mein Nachdenken über Kritik hat mich auch gelehrt, zwischen verschiedenen Arten von Feedback zu unterscheiden. Nicht jede Kritik ist gleich wertvoll, nicht jede Stimme verdient das gleiche Gewicht in meinem inneren Parlament. Diese Unterscheidungsfähigkeit – wissen, welche Kritik ich annehmen und welche ich loslassen sollte – ist eine wertvolle Kompetenz, die ich ohne meine overthinking-Tendenzen vielleicht nie entwickelt hätte.

Wege zur Balance: Vom Grübeln zur Reflexion

Wie können wir als Overthinker einen gesünderen Umgang mit Kritik finden? Mein eigener Weg war und ist voller Versuche, Irrtümer und kleiner Durchbrüche. Einige Praktiken haben sich für mich als besonders hilfreich erwiesen:

1. Die Beobachterposition einnehmen

Eine der kraftvollsten Veränderungen in meinem Leben begann, als ich lernte, einen Schritt zurückzutreten und meine Gedanken zu beobachten, anstatt mich vollständig mit ihnen zu identifizieren. Achtsamkeitspraktiken haben mir geholfen, diesen inneren Raum zu kultivieren – einen Raum, in dem ich denken kann, ohne vom Denken konsumiert zu werden.

Wenn die Gedanken nach einer vermeintlichen kritischen Bemerkung zu kreisen beginnen, atme ich bewusst und sage zu mir selbst: „Ich bemerke, dass ich jetzt overthinking betreibe.“ Diese einfache Benennung schafft bereits Distanz und ermöglicht mir, aus der Spirale auszusteigen.

2. Den Körper als Anker nutzen

Als hochsensible Person habe ich gelernt, dass mein Körper oft weiser ist als mein grübelnder Verstand. Wenn ich mich in endlosen Gedankenschleifen verfange, kehre ich bewusst in meinen Körper zurück – durch Bewegung, Atemübungen oder einfach, indem ich meine Füße auf dem Boden spüre.

Diese Erdung hilft mir, aus dem abstrakten Raum der Sorgen in die konkrete Präsenz des Moments zurückzukehren. Von diesem geerdeteren Ort aus erscheinen die Ängste vor Kritik oft weniger überwältigend.

3. Meine Werte als Kompass nutzen

Eine der wertvollsten Fragen, die ich mir stelle, wenn die Angst vor Kritik mich lähmt, ist: „Wem diene ich mit meiner Zurückhaltung?“ Diese Frage führt mich zurück zu meinen tiefsten Werten und Intentionen.

Wenn ich aus Angst vor Kritik meine Stimme zurückhalte, diene ich dann meinem Wert der Authentizität? Wenn ich ein Projekt aufgrund von Perfektionismus endlos hinauszögere, lebe ich dann meinen Wert des kreativen Ausdrucks? Diese Reflexionen helfen mir, meine Entscheidungen an dem auszurichten, was mir wirklich wichtig ist, statt an der Angst vor möglicher Ablehnung.

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4. Kritik kategorisieren und filtern

Nicht alle Kritik ist konstruktiv, und nicht jede Meinung verdient gleiche Beachtung. Ich habe gelernt, Feedback zu kategorisieren und bewusst zu entscheiden, welchem ich Raum geben möchte.

Brené Brown schlägt vor, sich zu fragen: „Kommt diese Kritik von jemandem, dessen Meinung ich wirklich schätze? Von jemandem, der selbst in der Arena steht?“ Diese Filter helfen mir, Feedback von Menschen zu priorisieren, die meine Werte teilen und selbst mutig handeln.

5. Die Gemeinschaft der Empfindsamen finden

Eine der heilsamsten Erfahrungen auf meinem Weg war die Begegnung mit anderen sensitiven Menschen – anderen Overthinkern, die verstehen, wie es sich anfühlt, in einer Welt zu navigieren, die oft zu laut, zu schnell und zu oberflächlich erscheint.

In diesen Begegnungen fand ich Bestätigung für meine Erfahrungen und lernte neue Strategien kennen. Vor allem aber erlaubten sie mir, meine Sensibilität nicht als Makel, sondern als wertvolle Qualität zu betrachten.

 

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Eine neue Perspektive auf Kritik

Je mehr ich mein Overthinking verstehe und akzeptiere, desto mehr verändert sich meine Beziehung zur Kritik. Ich beginne, sie weniger als Bedrohung und mehr als Möglichkeit zu betrachten – eine Möglichkeit zu wachsen, meine blinden Flecken zu erkennen und meine Arbeit zu verfeinern.

Diese Neudeutung ist kein einmaliges Ereignis, sondern ein fortlaufender Prozess. Es gibt immer noch Tage, an denen ein kritisches Wort mich tiefer trifft, als ich es mir wünschen würde. Doch die Erholung kommt schneller, und die Spiralen des Grübelns halten nicht mehr so lange an.

Vielleicht liegt die größte Weisheit darin, unsere overthinking-Tendenzen weder vollständig abzulehnen noch ihnen blind zu folgen. Stattdessen können wir lernen, sie als einen Teil unserer einzigartigen Wahrnehmung zu integrieren – als eine Stimme im inneren Rat, die gehört werden darf, aber nicht alleine entscheiden sollte.

Dein innerer Kritiker ist nicht dein Feind

Der innere Kritiker kann ein großer Treiber des Overthinkings sein. Oft ist diese Stimme besonders streng und hart. Sie will dich vor Enttäuschungen bewahren, indem sie dich warnt: „Tu das nicht, es könnte schiefgehen.“ Doch in der Realität hindert sie dich oft nur daran, authentisch zu sein.

Versuche, deinen inneren Kritiker zu einem Verbündeten zu machen. Höre hin, was er zu sagen hat, aber lass dich nicht davon leiten. Sage dir selbst: „Ich verstehe, dass du mich beschützen willst, aber ich möchte meinen eigenen Weg gehen.“ Mit der Zeit wird diese Stimme leiser und gibt dir weniger Macht über dich.

Ein effektiver Weg, deinen inneren Kritiker zu zähmen, ist, ihm einen Namen zu geben. Wenn du ihn personifizierst, kannst du besser mit ihm umgehen. Stelle dir vor, dass dein innerer Kritiker eine besorgte, aber übervorsichtige Person ist, die es gut mit dir meint, aber oft übertreibt. Indem du diese Stimme als separate Person betrachtest, kannst du sie leichter in ihre Schranken weisen.

Eine weitere Methode, deinen inneren Kritiker zu entschärfen, ist, ihm gezielt zu widersprechen. Wenn er dir zum Beispiel sagt: „Das schaffst du nie“, kannst du bewusst dagegenhalten: „Ich habe in der Vergangenheit schon viele Herausforderungen gemeistert, und ich kann auch diese bewältigen.“ Indem du deinem inneren Kritiker aktiv widersprichst, kannst du seine Macht über dich reduzieren.

 

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Ein sanfter Abschied und eine Einladung

Als ich diese Zeilen zum Abschluss bringe, spüre ich die vertraute Bewegung der Gedanken: „Habe ich genug gesagt? War ich hilfreich? Wird jemand Kritik üben an der Art, wie ich dieses komplexe Thema behandelt habe?“

Doch heute wähle ich, diese Gedanken sanft zu bemerken und weiterzuschreiben – nicht perfekt, aber authentisch. Denn vielleicht ist genau diese Authentizität das wertvollste Geschenk, das wir als sensitive Overthinker der Welt machen können.

Wenn du dich in diesen Worten wiedererkennst, lade ich dich ein: Umarme deine Tiefe. Ehre deine Sensibilität. Und erinnere dich daran, dass die Welt nicht nur schnelle Entscheider und unerschütterliche Selbstsicherheit braucht, sondern auch Menschen wie dich und mich – Menschen, die tief fühlen, gründlich reflektieren und mit offenem Herzen durch eine komplexe Welt navigieren.

Die Angst vor Kritik mag uns begleiten, aber sie muss uns nicht definieren.

 

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2 Kommentare

  1. Toller Beitrag! Ich kann das Gefühl wirklich gut nachvollziehen. Letztens habe ich einem Freund geholfen, seine Plissees anzubringen, und ich war total nervös, dass er vielleicht kritisieren würde, wie ich das gemacht habe. Dabei war ich mir eigentlich sicher, dass ich es ordentlich hinbekommen hatte, aber diese ständige Angst vor Kritik ist echt hartnäckig. Am Ende war alles super, aber die ständigen Gedanken und Zweifel vorher haben mich richtig gestresst.
    Dieser Artikel trifft den Nagel auf den Kopf. Als jemand, der oft von Gedanken überrollt wird, hat die Vorstellung, kritisiert zu werden, bei mir auch immer solche Lawinen an Gedanken ausgelöst. Die Tipps, wie man mit Kritik besser umgeht, sind echt hilfreich, vor allem die Idee, sich der Kritik mit einer anderen Perspektive zu nähern und den inneren Kritiker als Verbündeten zu sehen.

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    • Vielen Dank für Dein Feedback. Es freut mich,wenn ich auch für Dich einige Punkte getroffen habe, die da passen.

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