Wie uns Hochsensible andere sehen
Ging es im letzten Artikel noch darum, dass man unter seiner Hochsensibilität durchaus auch leiden kann, möchte ich versuchen dieses mal die andere Seite zu beleuchten und hervor zu heben.
Oft wird ja beklagt, das Hochsensible eben genau das sind: hoch sensibel, ja übersensibel. Aus allem würden sie gleich ein Drama machen, sich jeden Schuh anziehen, egal ob er passt oder nicht und alles stets nur auf sich beziehen. Empfindlich sind sie, Mimosen und ohne Kampfgeist.
Natürlich könne wir jetzt alles abtun mit dem schönen Argument, das dies ja zumeist von nicht Hochsensiblen geäußert würde, die keine Ahnung hätten, unter was man wirklich so zu leiden hat.
Stimmt. Beides. Es ist in der Tat so, dass andere Menschen oft wirklich nur eine ungefähre Ahnung davon haben, wie es einem gehen mag der Hochsensibel ist. Da stürmt viel mehr auf einen ein, als – verzeiht den nicht wertend gemeinten Ausdruck – „Otto Normalbürger“ sich vorstellen mag. Wir müssen so manches mal mehr verkraften, mehr verarbeiten als andere überhaupt sehen.
Und doch…
Und doch steckt in vielen von uns eine ganz gehörige Drama Queen. Wir haben früher oder später erkannt, das wir Hochsensibel sind, das dies eine Wesensart und keine Krankheit ist und doch verstecken wir uns vielfach genau dahinter. Wir möchten keine Ausgrenzung und grenzen uns barbarisch selbst aus.
Wertschätzung gegenüber sich selbst
Keine Bange, es geht hier nicht erneut um den Hype der Hochsensibilität, vielmehr darum, dass ich in vielen Gesprächen und in vielen Online-Gruppen zu HSP immer wieder mitbekomme, wie viele von uns sich fortwährend beklagen und ihre Hochsensibilität als Manko, als Einschränkung und fast schon als Strafe begreifen.
Gewiss, es ist als Hochsensibler nicht immer leicht. Nicht selten wird alles zu viel und man möchte die Welt anhalten. Dabei vergessen wir, wie ich finde, zu oft die positiven Seiten, die „Gabe“, die Hochsensibilität letztlich auch für uns alle ist.
Viele nennen es Achtsamkeit, ich nenne es Wertschätzung sich selbst und seinen Möglichkeiten gegenüber. Wir begreifen was in uns vorgeht wenn wir getroffen, niedergemacht und durch Empathie und Emotionen, die von anderen auf uns abgeladen werden. Wir erkennen unser Leid, aber erkennen wir auch unsere Stärken?
Ich möchte jetzt weitab von jeder Religiosität und esoterischen Bewusstseinsebenen etc. hier schreiben. Der normale Menschenverstand und das, was uns Hochsensible eben auszeichnet, ein gewisses Gespür, genügen schon, um verstehen zu können, dass wir uns selbst nicht in unseren negativen Erfahrungen einschließen dürfen.
Meine Hochsensibilität habe ich schon immer irgendwie gespürt. Ob sie Fluch oder Segen für uns ist, das entscheiden zum größten Teil auch wir selbst. Für viele ist das Erkennen eine Art Befreiung. Endlich weiß man, was mit einem los ist, warum man so „anders“ ist und warum man manches mal mit sich und der Umwelt so wenig klar kommt.
Hochsensibilität als eigene Chance erkennen
Und doch will es scheinen, dass viele dies mit dem Erkennen und Wissen um HSP, es wie eine Bürde auf sich gelegt fühlen. Auch wenn fast alle von der Befreiung der Erkenntnis schreiben oder sprechen, scheinen sie, wenn man liest, was so in den Gruppen geschrieben wird, vielfach das Positive nicht mehr zu sehen.
Auch für mich war es Anfangs schwer. Ich habe mir nicht ausgesucht Hochsensibel zu sein. Als Junge und später als Mann, ist es in unserer Gesellschaft gar nicht einfach sich damit auseinander zu setzen und damit umzugehen. Wer als Junge in der Klasse und auf dem Schulhof das „Sensibelchen“ ist, der weiß was man da teilweise auszustehen hat. Hier hinkt jede Gleichberechtigung meilenweit hinterher. Aber das ist ein ganz eigenes Thema und werde ich an anderer Stelle vielleicht beschreiben.
Was ich ausdrücken wollte ist, dass es auch mir zu Beginn schwer fiel. Obwohl einiges auszustehen hatte, keimte in mir stets das Gefühl auch etwas besonders wertvolles zu besitzen. Ich meine damit weniger ein übersteigertes Selbstbewusstsein, sondern das unerklärte Wissen darum, ein besonders guter und geschätzter Zuhörer zu sein, mit dem Wort und der Schrift sich besonders ausdrückend zu können.
Als Redner, als Vorleser, als Schreiber – es gab viele Momente, in denen ich für mich spürte, dass sind Dinge, die ich besonders gut kann, die mich auszeichnen. Sensibel die Umwelt zu begreifen und ein gefragter Ratgeber zu sein, weil man sich vielfach einfach in Situationen und Menschen zutiefst hineinversetzen kann, das sind doch durchaus positive und wertvolle Dinge. Wenn man Empathie als Jugendlicher nicht des Begriffes wegen kennt, sondern dieses „mitfühlen“ einen den anderen näher bringt, dann ist das der Moment in uns, der uns HSP als Gabe und als Segen erfahren lässt.
Hochsensibilität als Chance
Ich habe unter meiner Hochsensibilität oftmals gelitten, ohne zu wissen, was es ist, aber ich habe mindestens genauso viel wunderbare Erlebnisse und Momente durch sie erfahren und ich würde sie für keine Sekunde eintauschen oder vermissen mögen.
Heute versuche ich ganz bewusst mich den schwierigen Auswirkungen der Hochsensibilität zu stellen. Ich sage bewusst hier nicht „negative“, denn obwohl alles (mindestens) zwei Seiten hat, muss doch eine davon nicht zwangsläufig schlecht sein. Es gibt Merkmale und Ausprägungen, die mir das Leben nicht immer leicht machen. Ich versuche sie zu akzeptieren, zu verstehen und damit umzugehen.
Im gleichen Zug versuche ich die „Gabe“, den „Segen“ zu erleben, zu spüren und all das Positive, was ich damit erfahre, immer wieder erfahre, als Ausgleich und Chance zu sehen. Es ist ein gutes Gefühl und ich bin dankbar. Hochsensibel zu sein, mag im Alltag nicht immer einfach sein, aber wie schrecklich wäre es für jeden von uns, wenn es plötzlich verschwinden würde. Habt Ihr darüber schon mal nachgedacht?
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