Vom Chaos im Kopf zum Roman im Geist: Wie ich meine Gedankenflut in kreative Energie verwandle
Kennst du dieses Gefühl? Es ist spät in der Nacht, du liegst im Bett, das Licht ist längst ausgeschaltet – aber dein Gehirn hat den Memo zum Schlafengehen offenbar nicht erhalten. Stattdessen rasen die Gedanken wie ein wilder Sturm durch deinen Kopf: die unerledigten Aufgaben von heute, die Sorgen um morgen, die Erinnerungen an peinliche Momente von vor zehn Jahren…
Und hier ist der Podcast zum Artikel
Wenn der Gedankensturm tobt und kein Ende in Sicht ist
Eine Frau aus einer Facebook-Gruppe für Hochsensibilität brachte es neulich perfekt auf den Punkt:
„Manchmal suche ich vergeblich den AUS-Knopf, das OFF sozusagen zum Ausschalten des Schwalls an Gedanken und Gefühle. …. ‚Wo‘ ist der Knopf bei Euch? Wie bringt Ihr ‚die Lämmer zum schweigen‘?“
Diese Frage traf mich mitten ins Herz, denn sie beschreibt ein Problem, mit dem ich jahrelang gerungen habe. Ein Problem, das besonders für uns Hochsensible oft zur täglichen Herausforderung wird.
Die üblichen Verdächtigen: Unsere Fluchtstrategien
Wir kennen sie alle, diese verzweifelten Versuche, dem Gedankenlärm zu entkommen:
Da sind die Aktionisten unter uns, die sich in einen Strudel aus Aktivitäten stürzen – immer beschäftigt, immer in Bewegung, bloß keine Ruhe, in der die Gedanken die Oberhand gewinnen könnten.
Dann gibt es die Betäuber, die mit Musik auf maximaler Lautstärke, endlosen Serien-Marathons oder stundenlangen Gaming-Sessions die innere Stimme übertönen wollen.
Und nicht zu vergessen die Fürsorger, die sich lieber um die Probleme anderer kümmern, weil es einfacher ist, fremde Sorgen zu schultern als die eigenen zu konfrontieren.
Ich habe all diese Strategien durchprobiert – und festgestellt, dass sie zwar kurzfristig Erleichterung bringen können, aber keine wirkliche Lösung darstellen. Die Gedanken warten geduldig, bis die Ablenkung nachlässt, um dann mit voller Wucht zurückzukehren.
Meine unerwartete Rettung: Ein Buch, das nur in meinem Kopf existiert
An einem besonders schlimmen Abend, als ich stundenlang wach lag und meine Gedanken wie wild umherspringen, entdeckte ich etwas Seltsames: Ich begann, mir eine Geschichte auszudenken. Nichts Besonderes zunächst, einfach eine kleine Szene mit einem Charakter, der durch einen nebligen Wald wanderte.
Was dann geschah, überraschte mich: Meine kreisenden Sorgen und Ängste wurden leiser. Je detaillierter ich mir die Welt in meinem Kopf ausmalte, desto mehr trat die reale Welt mit ihren Problemen in den Hintergrund.
So wurde meine Methode geboren: Ich schreibe ein Buch – aber nur in meinem Kopf.
Es klingt vielleicht seltsam, aber diese mentale Schreibtechnik hat mein Leben verändert. Im Laufe der Jahre sind ganze Romanreihen entstanden. Fantasywelten mit komplexen Charakteren, Spannungsromane mit unerwarteten Wendungen, manchmal sogar Drehbücher oder Kurzgeschichten – alles existiert nur in meinem Kopf.
Wie das geistige Schreiben funktioniert
Wenn ich spüre, dass die Gedankenflut anschwillt, schalte ich bewusst um. Es ist wie ein mentaler Schalter, den ich umlege:
- Ich wähle eine Geschichte – manchmal eine bestehende, an der ich mental „weiterarbeite“, manchmal eine völlig neue.
- Ich fokussiere mich auf Details – Wie sieht der Raum aus, in dem meine Figur steht? Welche Gerüche nimmt sie wahr? Was denkt sie gerade?
- Ich lasse die Szene vor meinem inneren Auge ablaufen – als würde ich einen Film nicht nur sehen, sondern gleichzeitig Regie führen, das Drehbuch schreiben und die Kamera bedienen.
Es geht dabei nicht um eine durchgehende Geschichte. Mal entwickle ich diese Szene, mal jene. Manchmal springe ich mitten in ein aufregendes Kapitel, ein andermal beginne ich eine ganz neue Geschichte. Die Freiheit ist grenzenlos – es gibt keine Verleger, die auf Fristen pochen, keine Leser, die enttäuscht werden könnten.
Warum diese Methode so gut funktioniert
Was macht diese Technik so wirksam gegen Gedankenflut? Nach jahrelanger „Praxis“ glaube ich, mehrere Gründe gefunden zu haben:
1. Kreative Umlenkung statt Unterdrückung
Anders als beim Versuch, „nicht zu denken“ (was bekanntlich unmöglich ist), lenkst du deine Gedankenenergie um. Du kämpfst nicht gegen den Strom, sondern gibst ihm eine neue Richtung.
2. Emotionale Verarbeitung durch Projektion
Viele der Themen, die mich beschäftigen, finden ihren Weg in meine Geschichten – aber in verfremdeter Form. Die Angst vor Zurückweisung wird zur Herausforderung eines Protagonisten. Der Konflikt mit dem Kollegen transformiert sich in eine spannende Auseinandersetzung zwischen zwei Charakteren.
So kann ich Emotionen und Probleme indirekt bearbeiten, ohne direkt in ihnen gefangen zu sein.
3. Fokussierte Meditation in Verkleidung
Was ich da mache, ist im Grunde eine Form der Meditation – nur dass ich nicht versuche, meine Gedanken zu leeren, sondern sie gezielt in eine bestimmte Richtung zu lenken. Für manche (wie mich) funktioniert das besser als klassische Meditationstechniken.
4. Der perfekte Einschlafhelfer
Zum Einschlafen ist diese Methode geradezu magisch. Während ich mich in meine Geschichte vertiefe, gleite ich oft sanft in den Schlaf hinüber. Die Charaktere führen dann ihr Eigenleben in meinen Träumen weiter.
Vom Kopfkino zum echten Schreiben: Der nächste Schritt
Für lange Zeit blieben meine Geschichten ausschließlich im Kopf. Ich nahm mir zwar immer wieder vor, sie aufzuschreiben, aber es kam nie dazu. Bis ich irgendwann erkannte: Es muss nicht immer ein fertiges Buch entstehen. Der Prozess selbst ist wertvoll.
Dennoch habe ich inzwischen begonnen, einige meiner Kopfgeschichten festzuhalten – nicht alle, nur diejenigen, die mich nicht mehr loslassen wollen. Und ich habe festgestellt:
- Das Aufschreiben vertieft die Erfahrung – Details, die im Kopf verschwommen waren, werden klarer.
- Schreiben schafft Distanz – ich kann meine Gedanken besser betrachten und sortieren.
- Der kreative Prozess wird bewusster – ich erkenne Muster und Themen, die mich beschäftigen.
Praktische Tipps für dein eigenes Kopfbuch
Möchtest du diese Methode selbst ausprobieren? Hier sind einige Tipps aus meiner Erfahrung:
- Beginne mit einer vertrauten Umgebung
Stelle dir einen Ort vor, an dem du dich wohlfühlst – vielleicht eine Strandhütte, eine Berghütte oder ein gemütliches Café. Dieser Ort kann der Ausgangspunkt deiner Geschichte sein. - Erschaffe einen Alter-Ego-Charakter
Eine Figur zu erschaffen, die dir ähnlich ist, aber vielleicht mutiger, stärker oder weiser, kann sehr befreiend sein. Durch sie kannst du Situationen meistern, die dich im echten Leben herausfordern. - Nutze alle Sinne
Beschränke dich nicht auf visuelle Vorstellungen. Wie riecht es in der Szene? Welche Geräusche hörst du? Wie fühlt sich der Boden unter den Füßen deines Charakters an? - Sei geduldig mit dir
An manchen Tagen fließen die Bilder wie von selbst, an anderen muss ich mich mehr anstrengen. Das ist völlig normal. - Keine Leistungszwänge
Denke daran: Dein Kopfbuch muss niemanden beeindrucken. Es existiert nur für dich, zu deinem Wohlbefinden.
Die Transformation: Vom Gedankenchaos zur kreativen Quelle
Was als verzweifelter Versuch begann, dem Gedankensturm zu entkommen, hat sich zu einer der wertvollsten Praktiken in meinem Leben entwickelt. Meine „Gedankenflut“ sehe ich heute nicht mehr als Problem, sondern als kreative Ressource – als Rohstoff für meine mentalen Geschichten.
Die Momente, in denen mein Kopf nicht zur Ruhe kommen will, sind nun oft die produktivsten für mein inneres Schreiben. Statt mich gegen die Gedanken zu wehren, heiße ich sie willkommen und transformiere sie in Szenen, Dialoge und Handlungsstränge.
Natürlich gibt es immer noch Tage, an denen die alte Unruhe zurückkehrt. Tage, an denen selbst meine bewährte Methode nicht sofort greift. Aber ich weiß jetzt, dass ich einen Weg habe – einen Weg, der nicht nur die Symptome bekämpft, sondern die Energie umwandelt und nutzbar macht.
Die Einladung an dich
Wenn du dich in meinen Worten wiedererkennst, wenn du auch nach einem „Aus-Knopf“ für deine Gedanken suchst, lade ich dich ein: Probiere es aus. Erschaffe dein eigenes Kopfbuch. Es muss nicht perfekt sein, es muss keine literarische Meisterleistung werden.
Es muss nur für dich funktionieren, in deinem Tempo, auf deine Art.
Vielleicht entdeckst du wie ich, dass in deiner Gedankenflut nicht nur Chaos steckt, sondern auch ungeahnte kreative Kraft. Dass das, was dich nachts wachhält, auch das sein kann, was deine Fantasie beflügelt und dir letztendlich hilft, zur Ruhe zu kommen.
Und du? Hast du eigene Strategien entwickelt, um mit deiner Gedankenflut umzugehen? Oder möchtest du meine Methode ausprobieren? Ich freue mich auf deine Kommentare und Erfahrungen!
PS: Falls du schon immer mit dem Gedanken gespielt hast, deine eigenen Geschichten nicht nur zu denken, sondern auch aufzuschreiben – vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür. Manchmal muss ein Buch erst im Kopf entstehen, bevor es den Weg aufs Papier findet.
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